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Sonntag, 3. März 2013

Wie liebt ein Borderliner?

Weil er sich selbst im Chaos der Gefühle verliert, braucht er sein Gegenüber als eine Art Spiegel. Doch das ist schwer auszuhalten.

Im einen Moment schwört er ihr seine Liebe, nimmt sie an der Hand und tanzt durch die Wohnung. Kurz darauf brüllt er sie an, weil sie ein Wasserglas auf der Fensterbank statt auf dem Esstisch abgestellt hat. "Ein typisches Verhalten für Menschen mit Borderline", sagt Manuela Rösel, psychologische Beraterin aus Berlin. "Sie kennen nur Extreme." Es sind Grenzgänger zwischen Euphorie und Depression, Selbstüberhöhung und Selbstzweifel, Schwarz und Weiß.

Etwa 1,2 Millionen Deutsche leiden an der Persönlichkeitsstörung, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene sind betroffen. Experten gehen davon aus, dass die Zahl der Borderliner noch steigen wird. Der Grund: Unsere Gesellschaft wird zusehends fragmentierter, feste Familienstrukturen brechen immer mehr auseinander. Das macht den Grenzgängern zu schaffen, denn gerade sie brauchen ein stabiles Umfeld.

Der bekannte deutsche Psychiater Borwin Bandelow ist davon überzeugt, einen Großteil der Borderliner unter Prominenten verorten zu können. Robbie Williams, Kurt Cobain und Angelina Jolie sind nur einige Namen, die er nennt. Seine These: Das Gehirn von Borderlinern schüttet zu wenige Endorphine aus, deshalb verlangen sie mehr als andere nach Glückshormonen. Und die bekommen sie vor allem im Rampenlicht. Bandelow empfiehlt sogar: "Wer an solchen Störungen leidet, sollte anstreben, Künstler zu werden." Seine Kollegin Dr. Kirstin Bernhardt, stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Kiel, sieht diese Einschätzung kritisch. Eine Bestätigung von außen habe keinen dauerhaft positiven Einfluss auf das sehr niedrige Selbstwertgefühl von Borderlinern. Einig ist sie sich aber mit Borwin Bandelow, dass diese außerordentlich kreative Menschen sind. Vielleicht ein Anstoß für Betroffene, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, auszuprobieren, ob dieses Ventil Erleichterung verschafft.


Betroffene ritzen sich oder schlagen ihren Kopf gegen die Wand

Die Ursachen für die Persönlichkeitsstörung sind noch nicht eindeutig geklärt. Die meisten Experten vermuten ein Zusammenspiel zwischen genetischen und sozialen Bedingungen. "Zu den vererbbaren Faktoren zählt, dass die Hirnregionen, die eine wichtige Rolle bei der emotionalen Bewertung von Situationen spielen, bei Borderlinern extrem erregbar sind", sagt Kirstin Bernhardt. Das hat zur Folge, dass diese unter massiven Anspannungen leiden und überempfindlich auf Reize reagieren. Hat jemand dann auch noch in seiner Kindheit traumatische Erfahrungen gemacht, sich isoliert gefühlt oder gar Missbrauch erlebt, erhöht sich der Schweregrad der Erkrankung.

Nach dem System, mit dem psychische Krankheiten klassifiziert werden, gibt es neun Indikatoren für die Störung. Sind fünf davon erfüllt, gilt der Patient als Borderliner. Dazu zählen ein unsicheres Selbstbild, ein Verhalten, mit dem man sich selbst schadet wie etwa Drogenmissbrauch oder übermäßiges Geldausgeben. Typisch sind auch Selbstverletzungen, Betroffene ritzen sich in die Haut und schlagen ihren Kopf gegen die Wand. Weitere Indizien: das chronische Gefühl von innerer Leere, Wutanfälle, paranoide Vorstellungen, Selbstmorddrohungen und widersprüchliche Gefühle wie die Panik vor dem Alleinsein, obwohl gleichzeitig eine große Angst vor Nähe herrscht.


Viele Partner sind überfordert

Diese paradoxe Einstellung macht ein Zusammenleben mit Borderlinern so schwierig: Einerseits klammern sie sich an ihren Partner, andererseits ziehen sie sich schnell von ihm zurück. Für den anderen ein schwer zu ertragener Zustand. Viele Partner sind überfordert, wollen nicht schuld sein an der Unzufriedenheit des Geliebten, nicht die Verantwortung für sein Handeln tragen.

"Die Grenzgänger bewerten alles aus ihrer jeweiligen Gefühlslage heraus", sagt Manuela Rösel, die schon mehrere Ratgeber für Partner von Borderlinern geschriebenhat. Da die Betroffenen oft nicht wissen, wer sie wirklich sind, verlieren sie sich in ihrem Gefühlschaos. Deshalb brauchen sie jemanden, über den sie sich definieren können, sozusagen einen Spiegel. Und das ist oft der Partner. "Von ihm erwarten Borderliner, dass er zur gleichen Zeit das Gleiche fühlt wie sie", erklärt die Expertin. Tut er das nicht, versuchen sie, das jeweilige Gefühl zu provozieren. "Jemand mit dieser Störung kommt nicht damit klar, dass sein Partner ein eigenständiges Individuum ist – und nicht nur Projektionsfläche", so Manuela Rösel. Um so existenzieller erleben Menschen mit Borderline eine Trennung. Denn fehlt der Partner, fehlt das gespiegelte Ich: "Manche fühlen sich dann wie vernichtet", sagt Manuela Rösel. Weil sie glauben, nur durch den anderen leben zu können. Deswegen lassen sie den anderen nicht los und werden im schlimmsten Fall sogar zum Stalker.


Seine Verzweiflung ist nicht meine Verzweiflung

Aber wie kann man eine Liebe zu einem Borderliner leben? "Indem man sich abgrenzt", rät die Expertin, "und sich klarmacht, dass die Verzweiflung des anderen nicht die eigene Verzweiflung ist und man auch keine Verantwortung für den Partner trägt." Diese Haltung zu bewahren, erfordert eine große innere Stärke, die nicht jeder in sich trägt. Denn wer kann es schon aushalten, wenn der geliebte Mensch sich selbst verletzt, sich mit der Rasierklinge schneidet.

Warum Borderliner das tun? Um aus einem Zustand auszubrechen, in dem sie die Welt wie durch einen Schleier sehen, alles nur in blassen Farben wahrnehmen, sich nicht mehr real fühlen. Erst der Schmerz holt sie zurück ins Leben. Doch was eigentlich ein Notanker ist, kann sich auch ins Gegenteil verkehren: Fünf bis zehn Prozent aller Borderliner nehmen sich das Leben.

Aber inzwischen gibt es erfolgreiche Therapiemöglichkeiten, mit denen man die Störung zwar nicht heilen, aber in den Griff bekommen kann. Am häufigsten wird die Dialektisch-Behaviorale Therapie angewendet. Dabei geht es zuerst darum, Alternativen zu finden, wie sich Borderliner aus dem für sie unerträglichen Zustand der inneren Leere befreien können. Zum Beispiel indem sie, statt sich mit einer Rasierklinge zu schneiden, ein Gummiband auf die Haut schnalzen lassen. Im zweiten Schritt lernen sie, achtsamer zu sein – mit sich selbst und der Welt, die sie umgibt. Das ist wichtig, denn in der Achtsamkeit wohnt die Liebe.


Text: Roxana Wellbrock /emotionen.de

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